Über den Künstler Ernst Mack

 

Oft birgt der Anfang Schwierigkeiten – zum Beispiel, wie soll man schreiben über einen Künstler, der auch ein Freund ist? Mit einer rigorosen Trennung beider Sphären oder dem Verschweigen der freundschaftlichen Seite würde ich dem Künstler Ernst Mack nicht gerecht, denn so wie ich ihn wahrnehme und kenne als Mensch und als Künstler, der sein Werk seit Jahrzehnten bildnerisch und musikalisch experimentierend entwickelt, kann ich ihn kaum anders als in komplexer Dualität beschreiben. Es gibt eine Vorgeschichte, die unsere Biografien betrifft, sie verdient es, erzählt zu werden: Ernst Mack begegnete mir Mitte der 1970er Jahre in Aachen, er fiel mir aufgrund seiner Beschäftigung mit der von ihm so bezeichneten „Data“- Malerei auf. Mit dem Begriff „Data“ beschrieb Mack ein künstlerisches Konzept, das sich den elektronischen Medien zuwandte, die damals den meisten – so auch mir – nur vage und in Umrissen erkennbar waren. Für Mack war dieser Bereich jedoch bereits konkrete Realität, denn aufgrund seiner Beschäftigung mit Klangexperimenten, faszinierten ihn elektronische Schaltpläne, Musiksysteme und Kommunikationsstrukturen, für die er in seiner Malerei Entsprechungen suchte und fand: es entstanden Bilder mit seriellem Charakter, – sinnlich und zugleich systematisch konstruiert. Themen dieser Malerei waren das Bild, – seine Herstellung und Komposition im Sinne einer unmittelbar persönlichen Aussage, und zudem die Frage nach den Funktionen des Bildes und der Malerei, als einer aktuellen Kommunikationsform. Ernst Mack zeigte in seiner Kunst damit ein Zukunftsprofil, das er in Schaltkreisen, Serienschaltungen, Synapsen und Kodierungen samt ihren Mitteilungsformen erkannte. Dass der Künstler damit bereits in den 1970er Jahren eine Perspektive auf unsere Gegenwart gefunden hatte, scheint heute offensichtlich, – dass er dies in einer tastenden Form in der Malerei und zugleich sehr konkret aufgrund der experimentierenden Arbeit im Audiobereich tat, macht diese Entwicklungsperiode seines Werks besonders spannend.

Aus unserem Kontakt entwickelte sich zunehmend mehr und mehr, denn zusammen mit zwei Kunstwissenschaftlern aus Aachen – Uli Bohnen und Dirk Backes – gründeten wir gemeinsam 1977 im Aachener Stadtteil Burtscheid einen Kunst- und Kulturverein in einer Fabrikhalle – genannt „Burtscheider Schule“, wo in den kommenden zwei Jahren zirka 80 Ausstellungen, Konzerte, Performances, Debatten und Vorträge stattfanden. In diesem Kontext lernte ich Mack besser kennen, nun auch als Organisator, Kurator, Diskutant und Mitstreiter, auf den man sich verlassen konnte. Mit dem Ende der „Burtscheider Schule“ trennten sich unsere Wege, ich beendete mein Studium und zog 1983 nach West-Berlin. Mack blieb in Aachen und malte weiter. Erst vor wenigen Monaten – über 30 Jahre später!- trafen wir wieder zusammen, und ich stellte zu meiner Freude fest, dass uns weder der Gesprächsstoff ausging, noch unsere Neugierde erloschen war. Und so handelt dieser Text von der Kunst Ernst Macks, wie zugleich von einer wiedererstandenen Freundschaft.

Über Ernst Mack zu schreiben, bedeutet, ihn in einem umfassenden Sinn zu erkennen, weil er als Künstler nicht nur Maler, Zeichner, Bildhauer und Experimentalmusiker ist, sondern zugleich innovativer Denker und Wortschöpfer. Mack ist umfassend interessiert und gebildet. Vor allem ist er nach wie vor obsessiv an der Kunst und der Malerei interessiert, an ihrer Praxis genauso wie an ihrer Historie und Theorie. Dass, was Mack bis heute gemalt und dargestellt hat, handelt von solchen Kenntnissen und zeigt ihn, als Vor- und Mitdenker einer mixed media art, bei der Impulse elektronischer Musik die bildende Kunst erreicht haben und dort eigenständig anschaulich werden. Die Synergie von Klängen und Farben, Tönen, Strukturen, Systemen mit Clustern und Linien, Strukturen und Vernetzungen in Bildkompositionen erscheinen und glücken in seiner Malerei ganz offensichtlich. Das bedeutet, dass Themen aus dem einen Bereich – aus dem Feld des Hörbaren, mit großer Intensität und formalem Geschick von ihm übersetzt werden in Malerei, also in ein sichtbarmachendes Medium, wie auch vice versa – ohne aber, dass dies zu Ungunsten einer der beiden Ausdrucksformen im Sinne eines Verlusts der Mittel oder Möglichkeiten geschieht; vielmehr macht es den Eindruck, als würden durch Macks Kenntnisse der unterschiedlichen Ausdrucksformen und Darstellungsmodi die Potentiale in beiden Medien günstig beeinflußt. Dabei hat sich über die Jahre hinweg etwas entwickelt, das vordergründig überraschen mag, aber vom Ende her gesehen mit Erfahrungen aus anderen Wissensgebieten korrespondiert: denn das, was zuerst rein technisch physikalisch begann und erscheinen mochte – also die bildhafte Darstellung elektronischer Schaltkreise -, wurde in der Arbeit und im Transformationsprozess zu einer Form konkreter Geistigkeit in Macks Malerei: demnach handeln Bilderfindung und -herstellung zunehmend von einem gewonnenen Vermögen, das nur ungenau mit dem Wort „spirituell“ beschrieben ist. In Hinblick auf die Malerei der 1950er und 60er Jahre in den USA ist der Begriff des „sublime“ verwendet worden, als Ausdruck für das Erhabene, das Künstler wie Mark Rothko oder Barnett Newman in ihrer Malerei zeigten. Das Sublime ist Ergebnis und Charakter einer Verdichtung künstlerischer Möglichkeiten seit der Romantik sowie Ausdruck für eine moderne Beschreibung von Heiligem und Göttlichem. Ernst Mack führt an solche Momente und Themen heran in einer Serie von Bildern, die ornamental gefaßt, prächtige Lichterscheinungen zeigen, ähnlich wie bei den leuchtenden Fenstern gotischer Kathedralen.

Damit nimmt seine Malerei Eigenschaften an, die auch durch Otto Freundlichs Kunst inspiriert scheint, und sich in einem langen Prozess intensiver Arbeit eine Genese ereignet hat, bei der Mack aus dem anfänglich technischen Approach von „Data“ eine spirituelle Dimension formte und damit eine markante Verbindung zwischen neuen Medien und alter Meditation geschaffen hat.

Hier zeigt sich aber auch in lebendiger Form ein Weg künstlerischer Individuation, entstanden aus persönlicher Notwendigkeit. Darin sehe ich eine Stärke von Ernst Mack, die sich schon früh erweisen musste, folgt man den Erzählungen des Künstlers, der sich über seine Profession bereits bewusst wurde, als man ihm in seiner Kindheit geradezu traumatisch beibrachte, dass er sich in einer Welt harter Wirkungen befand – gemeint ist die Zeit, als man ihn nach Donauwörth auf das Internat schickte, fern von daheim, in eine Umgebung klösterlicher Isolation und religiös barocker Zeichenwerte mit all ihren Todes- und Auferstehungsfantasien. Aus dieser Zeit früher Bewusstwerdung stammen wahrscheinlich Gewissheiten (wie auch deren Infragestellungen), die den Künstler und Menschen ausmachen.

Getrieben zur Entwicklung, gebannt durch die Geschichte und engagiert in der Gegenwart, fabriziert Mack auch im Gespräch – denkend beim Sprechen – immer wieder neue Worte und Annäherungen, die den Dingen dieser Welt überraschend Sinn stiftend näher kommen, als die bekannten, antrainierten Formeln der Sprache. In solchen Momenten ist Mack ein geradezu barocker Mensch, der Geist blitzend zu überraschen weiß, unterhaltsam und ironisch unterhaltend ist; damit gibt er dem Alltag eine besondere Note, gewinnt ihm sogar feierliche Momente ab.

Dass die Verbindung von Malerei, Musik, gedachter und gesprochener Sprache in der Kunst Ernst Macks eine Rolle spielt und sie erst in ihrer Diversität und Intensität ermöglicht, dürfte einleuchten – es ist demnach auch nicht nur seine Malerei, der wir begegnen, sondern vor allem einem künstlerischen Konzept in den genannten Formen seiner Kunst, wobei die Malerei die anschaulichste Ausdrucksweise Macks darstellt. Ihn und seine Kunst erlebe ich als hochkomplexes System vital-spiritueller Möglichkeiten, sich dabei immer wieder selbst erfindend und formend und zugleich geformt werdend durch die Umstände und Bedingungen, dies – wie wir alle – im Bestand von Natur, Technik und Geist unserer Zeit.

Peter Funken, Berlin, Oktober 2015