Text zum Einzelkatalog Ernst Mack (1998)

Ausstellungsbesuchern, die mit malerischer Kultur vertraut sind, wird es keine Mühe bereiten, die Bilder von Ernst Mack mit Genuß zu betrachten. Es wäre aber bedauerlich, wenn dabei jene Bedeutungselemente übersehen würden, welche geeignet sind, den sinnlichen Genuß spirituell zu bereichern. Denn wie alle ernstzunehmende Kunst künden auch Macks Gemälde von intensiv erlebter und verarbeiteter Gegenwart samt ihrer historischen und sozialen Vielschichtigkeit. Hat man erst einmal realisiert, wie sich – Ernst Bloch hat es in seinem Buch Erbschaft dieser Zeit *) demonstriert – die Pulsschläge verschiedener Epochen im jeweiligen Heute asynchron überlagern, dann ist es kein weiter Schritt mehr zu der Einsicht, daß auch, was wir Subjektivität nennen, ein Brennpunkt von gesellschaftlichen und geschichtlichen Einflüssen unterschiedlichster Herkunft ist. Die Fähigkeit, dieser Erkenntnis bildnerische Gestalt zugeben, gehört zu den besonderen Qualitäten des rheinischen Künstlers Ernst Mack. Die Begegnung heterogener Kulturen hat im Rheinland mehr als zwei Jahrtausende lang existenzprägend gewirkt und unverwechselbare Spuren im materiellen wie geistigen Traditionsbestand dieser Region hinterlassen. Und Mack weiß, wo er lebt; nicht zufällig erinnern viele seiner Bilder an die Fenster gotischer Kathedralen. Aber der Maler weiß auch, daß die rasante Entwicklung der Massenmedien uns mittlerweile zu Zeugen einer gigantischen globalen Vernetzung werden läßt, innerhalb derer regionales Kolorit allzu häufig auf das Niveau künstlich konservierten Brauchtums absinkt – nicht zuletzt deshalb, weil reflexionsmüde Sentimentalität und die nahezu perfekt computerisierte Tourismusindustrie einander profitabel ergänzen. Derartige Etappensiege der instrumentellen Vernunft (Max Horkheimer) sollten indes für Künstler, die auf kritische Zeitgenossenschaft Wert legen, kein Grund sein, in ihrer Arbeit die Digitalisierung der Welt und unseres Wissens zu ignorieren.

Parallel zu seiner bildnerischen Produktion hat sich Ernst Mack seit den siebziger Jahren intensiv mit musikalischen Experimenten beschäftigt und zahlreiche Resultate dieser Tätigkeit auf Cassetten gespeichert. Zuweilen, wenn er allein oder in Gruppen öffentlich auftritt, ergibt sich Gelegenheit, einige der seltsamen Apparaturen zu bestaunen, die der Künstler zur Klangerzeugung verwendet. Die von ihm bevorzugte Kombination teils mechanisch, teils elektronisch funktionierenden Geräte älterer Bauart mit heutigem Hightech-Equipment garantiert Hörerlebnisse, die für Kenner avancierter Experimentalmusik wahrscheinlich ähnliche Überlegungen auslösen, wie sie auch im Hinblick auf Macks Bilder angemessen sind.

*) Ernst Bloch, Erbschaft dieser Zeit (1935), Frankfurt a.M. 1962 

ln beiden Disziplinen hat die von Mack praktizierte Durchquerung der gesamten Skala, die sich zwischen Hightech und Lowtech erstreckt, offenbar programmatischen Charakter; in beiden Disziplinen sind wir mit Ergebnissen konfrontiert, die zeigen, daß die technischen Manifestationen diverser Epochen (und Regionen) keineswegs unvermittelbar sind; in beiden Disziplinen wird gleichwohl vermieden, Harmonien vorzutäuschen, die sich umgangenen Auseinandersetzungen verdanken.

Wenn hier stattdessen diagnostiziert wird, Ernst Mack wahre deutliche Distanz zu jedweder Beschönigungsstrategie, obwohl sich beispielsweise seine Gemälde – wie anfangs bemerkt dem sinnlichen Genuß durchaus nicht entziehen, dann deshalb, weil die scheinbare Disparatheit der Wirklichkeitsmomente, die der Künstler aufeinandertreffen läßt, in bildnerische (oder klangliche) Beziehungen transformiert wurde, deren widerspruchsvolle Unruhe eher nach der – sei`s auch anstrengenden – Lust des Erkennens verlangt als nach Zufriedenheit angesichts der vermeintlichen Abwesenheit von Problemen.

Insofern wäre es eine Bescheidenheit, die auf Kosten weitergehender Einsichten ginge, einzig die hohe technische Kunstfertigkeit zu bewundern, mit welcher Mack gerade jene Aspekte seiner Bilder ausstattet, die man wegen ihrer manuellen Entstehungsbedingungen der Kategorie Lowtech zurechnen muß. Denn inhaltlich bleiben eingefügte, dem Vokabular elektronischer Geräte zugehörige Fachwörter wie CountShift oder Load selbst dann noch als Signale aus der Hightechwelt identifizierbar, wenn sie uns „handgemalt“ begegnen. Aber auch Titel wie ´Bildnis mit TV-Schaltplan‘ mahnen zu gesteigerter Aufmerksamkeit, da der Begriff Bildnis im konventionellen Sinn das Portrait einer bestimmten Person erwarten läßt, wohingegen wir auf dem so titulierten hochformatigen Werk von Ernst Mack eine gitterartig gemalte Struktur erkennen, die sich in der untere Bildhälfte verdichtet und in der oberen von einem vertikal eingeklebten breiten Papierstreifen abgelöst wird, der – dem Titel gemäß – mit Details eines TV-Schaltplans bedruckt ist.

Bildnis mit TV-Schaltplan
1995 - Papier, collagiert auf Leinwand - 170 x 85 cm

Bildnis mit TV-Schaltplan 1995 – Papier, collagiert auf Leinwand – 170 x 85 cm   (Foto: Anne Gold)

Nehmen wir den vom Künstler formulierten Titel allerdings im vollständigen Wortlaut ernst, obwohl unser Verständnis von dem, was ein „Bildnis“ sei, nicht umstandslos auf Macks ´Bildnis mit TV-Schaltplan‘ übertragbar ist, dann ist nicht auszuschließen, daß wir bald sehr ähnliche und sehr effizient funktionierende Schaltpläne als Denk- und Verhaltensmatrix zahlloser Menschen – u.a. unserer selbst – entdecken. Nach dieser, anfangs vermutlich deprimierenden Einsicht gewinnt die Frage nach der Vertretbarkeit unserer vorherigen Erwartungen, aber auch nach Legitimität und Funktionsweise jener sozialen Schaltpläne deren Wirkung wir allzu leicht mit Subjektivität verwechseln, eine eminent lustversprechende Erkenntnisdimension. – Und damit nähern wir uns der Antwort, welchen Genuß die Bilder von Ernst Mack verdienen. 

(Text: Uli Bohnen)