Hightech – altmeisterlich

Während das, was uns an synthetischen Tönen aus dem Radio entgegenklingt, zumeist aus
akustischen Mustern besteht, deren Ablauf wir voraussingen können und die darum eigentlich
keiner Partitur bedürfen, hat Ernst Mack den Weg unvorhersagbaren elektronisch-
musikalischen Experimentierens beschritten. Dabei entstehen akustisch Phänomene, die sich
selbst dann nur unvollkommen wiederholen lassen, wenn sie auf einem Tonband konserviert
wurden. Partituren, die zu derartiger Musik entwickelt werden können, haben –
wie wir deit Karlheinz Stockhausen, John Cage oder George Crumb wissen – zuweilen einen
graphischen Reiz, der bei mehrmaligem Sehen weniger nachläßt, als der ihnen überantwortete
grahische Reiz bei mehrmaligem Hören.

Indem Ernst Mack sich auf die Darstellung symbolhaft-analoger Partituren kapriziert hat, die
von vornherein nicht mit dem Anspruch behaftet sind, in reproduzierbare musikalische Auf-
führungen rückübersetzbar zu sein, beläßt er dem akustischen Erlebnis im doppelten Sinn seine
Einmaligkeit. Zugleich geht er so der technizistischen Variante eines Mißvertständnisses aus
dem Weg, das die Autonomie medienspezifischer Darbringungsformen allzu oft den Simpli-
zitäten eines illustrativen Analphabetismus geopfert hat. Das heißt: Musik und patiturhafte
Bilder stehen in einem autonomen, wenn auch dialogfähigen Verhältnis zueinander – ver-
wandt wie die alten europäischen Adelsfamilien, doch ohne Inzucht und ohne Krieg .
Die Besonderheit verdankt sich nicht zuletzt der enormen technologischen Differenz, die
zwischen den von Mack eingesetzten malerischen Mitteln und seinen akustischen Instrumen-
ten klafft . Lediglich das Motiv der Übermittlung von (ästhetischen) Botschaften deutet auf eine
strukturelle Analogie, wie sie – sofern wir daran glauben – auch Stonehenge und einem Nach-
richtensatelliten zugeschrieben werden könnte.

Mitvollziehbar wird diese Analogie immer dann, wenn der Künstler die Präsentation seiner Ge-
mälde mit einer musikalischen Demonstration verbindet. Man ist versucht, den komplizierten
Vorgang der Verkabelung verschiedener elektronischer Klangapparate, die Bedienung von
Klaviaturen oder Kippschaltern und die polyphone beziehungsweise polyrhythmische Über-
lagerung von (Dis-)Harmonien und Interferenzen mit der Bereitung der Malmaterie aus Farb-
partikeln, deren Auftrag mit Pinseln, Rollen oder Spritzvorrichtungen und dem sorgfältigen
Schichtungs- und Lasierprozeß zu vergleichen – Praktiken, an deren Ende nie etwas Abgeschlos-
senes, Vollkommenes steht sondern die akustisch erfahrene beziehungsweise visuell erfahrbare
Erlebnis von etwas Transitorischem.

Angesichts der einseitigen und kenntnisarmen Mißverständnisse, die seit einigen Jahren (vor
allem von Literaten mit dilettantisch-interdisziplinären Ambitionen) bei der Beurteilung der
künstlerischen Moderne üblich geworden sind, wäre es leichtsinnig, wenn man Macks Arbeit
kurzerhand und gutgemeint jener Tradition zuschreiben würde. Es ist notwendig geworden,
sich einer solchen Einschätzung behutsam und kenntnisreich zu nähern. Dabei dürfte sich, so-
zusagen nebenbei, herausstellen, daß die Moderne mehr barg und birgt, als selbst Jürgen Ha-
bermas vorschwebt, wenn er sie als „unvollendetes Projekt“ charakterisiert.

Der Begriff des „Transitorischen“, wie er im Zusammenhang mit Macks Musik und Malerei ver-
wendet wurde, weckt natürlich die Assoziation zum „offenen Kunstwerk“, einem Schlüssel-
begriff der Moderne. Wer aber glaubt, darunter sei lediglich der Verzicht des Künstlers auf
Komposition zu verstehen, liegt bereits schief; dies um so mehr, falls Willkür im gestalterischen
Prozeß vermutet wird. Das Gegenteil trifft zu. So wendet Mack bis heute zahlreiche Maltech-
niken an, die er im Verlauf der siebziger Jahre durch seinen Lehrer Ernst Wille vermittelt bekam
und die er einerseits sehr genau und geschichtsbewußt Künstlern von Giotto bis Jasper Johns
zuzuordnen weiß, andererseits seinen eigenen jeweiligen Absichten dienstbar macht oder
avanciert-experimentellen Mutationen aussetzt.

So erklärt sich der Seltsame Reiz der Bilder,- auf denen in freiem, zugleich geordnetem Rapport
beispielsweise die Schaltskala eines elektronischen Klangerzeugers in verschiedenen Einstel-
lungen als Hauptmotiv gewählt wurde. Logos, Amplituden von hoher graphischer Eleganz und
einsilbige Bedienungshinweise wie „DIG“,“LOAD“und „MIX“,“COUNT“,“SHIFT“ und“MIC“ sind
mehr oder weniger apparaturgetreu hinzugefügt beziehungsweise durchqueren oder überla-
gern die analog zu akustischen Abfolgen aufgereihten Grundmuster. Die „realen“ Klänge, Har-
monien und Sisharmonien, Rythmen, Transpositionen und Lautstärken gehen jedoch von den
Farben aus. Gleichermaßen ausgezeichnet durch ihre materielle Präsenz wie durch ihre imma-
terielle Wirkung, sind sie es, die innerhalb der motivisch fixierten historischen Vorgabe eine zeit-
annullierende Kraft entfalten, zu der uns ein perspektivisches oder dimensionales Äquivalent
nicht mehr – oder noch nicht(wieder?) -geläufig ist.

Bei der Bemühung um möglichst intensive (nicht grelle!) Farbwirkungen stieß Ernst Mack gegen
Mitte der achtziger Jahre auf die Kunst der mittelalterlichen Glasfenster. Angeregt durch die Bil-
der und Schriften von Otto Freundlich (1978-1943)reiste er nach Chartres; im Nordturm der
Kathedrale hat jener Wegbereiter der gegenstandslosen Kunst vor dem ersten Weltkrieg eine
zeitlang gearbeitet und sowohl den technischen Eigenschaften als auch den spirituellen Beding-
ungen nachgespürt, die dem damaligen Umgang mit der gläsernen Materie zugrundegelegen
haben mochten. Die Einsichten, zu denen Freundlich in Chartres gelangte, haben ihn jedoch
nicht daran gehindert, viele seiner eigenen Glasfenster, abweichend von den dortigen Beob-
achtungen, mit Zementfassungen zu versehen. Und auch Macks Zielsetzung, sich in seiner Male-
rei der Leuchtkraft dieser zwischen Transparenz und transzendenz vermittelnden Vorbilder an-
zunähern, blieb von einem fiktiven Eintauchen in die Märchenwald-Vergangenheit eines Max-
Ernst, ostzonaler Grünewald-Verschnitte oder gar Aachener Rathaustürme (a`la Rapunzel, laß‘
Dein güldnes Haar herab!“) weit entfernt. Andererseits versucht er nicht, die in seiner Heimat-
stadt Aachen (wo er stets noch lebt) touristenfreundlich praktizierte Biedermeierlichkeit durch
forcierte Progreßorientiertheit zu neutralisieren.

Zweifellos läßt sich Macks Faszination durch den suggestiven Einfluß leuchtender Farben bis ins
Metier derjenigen Techniker verlängern, die wie er- an einer möglichst großen Klangreinheit
ihrer elektronischen Musikerzeuger basteln, aber Macks Explorationen setzen fortwährend
historische Valenzen frei, die das Vertrauen ins technisch Machbare relativieren und die dimen-
sionale Amputation ahnen lassen, der ein fragloses Fortschrittsdenken sich ausliefert.
Oder zugespitzt ausgedrückt: Innovation und weiterführende künstlerische Anstrengungen sind
das eine ; die weltweit offenbar werdenden historischen, sozialen, politischen und wirt-
schaftlichen Bedingungen stehen auf einem anderen Blatt. Aus dieser Einsicht ist es zu erklären
daß Ernst Mack in den letzten Jahren Bilder gemalt hat, die zuweilen an gotische Fenster, zu-
weilen an abschußbereite Raketen erinnern; die formale Ähnlichkeit mag überraschen, ist
jedoch unbestreitbar.

In diesen Bildern Macks ist ein Erkenntnismoment unignorierbar, das von Schmerzen zeugt und
Schmerz verursacht; die ästhetische Versöhnung, die man den früheren Arbeiten des Künstlers
noch abgewinnen mochte, ist dahin. Stattdessen hat die Suche nach meta-physischen Ver-
mittlungsinstanzen eingesetzt. Sein Zeitgenössisches Bewußtsein verbietet es ihm, Filz und Fett,
oder Sandalen und Samensammeln, als künstlerische Hinweise auf alternative Perspektiven
ernstzunehmen. Aber die abstrakte Umkehrung des archaisierenden Müsli-Gestus, wie sie etwa
durch holographische Farbzaubereien, Mandelbrot-Sets, computergenerierte Graphik und
Synthesizer-Schwingungen „zum Träumen“, in die aktuelle Kunstdiskussion Eingang gefunden
hat, ist Macks Sache ebensowenig.

Die Thematik der animalisch zwangsläufigen, dabei technisch hochentwickelten(gegenseitigen)
Vernichtung,- wie sie von der kalifornischen Künstlergruppe „Survival Research Laboratory“ in
sorglosem Zynismus als öffentliches Spektakel zelebriert wird, kommt den Problemstellungen
vermutlich am nächsten, denen Mack sich verpflichtet(wenn nicht ausgeliefert)sieht. Allerdings
ist Mack weder sorglos noch zynisch; und er ist auch nicht hoffnungslos. Er geht seiner maleri-
schen und musikalischen Arbeit nach.

Im Unterschied zu den meisten heutigen Elektronik-Freaks hat Ernst Mack realisiert, das es eine
vieldimensionale Zeit- beziehungsweise Geschichtsstruktur geben dürfte,-innerhalb derer die
Lösung von Problemen Gegenwartsbewusstsein ebenso voraussetzt wie die Fähigkeit zu histori-
schen Analogien. Und im Unterschied zu den meisten heutigen Elektronik-Freaks hatten die-
jenigen Avantgardisten der Moderne, die sich zwischen 1910 und 1930 mit synthetischen Ex-
perimenten beschäftigten(man denke an Hausmann, Skrjabin, Baranoff-Rossine` und andere),
es noch verstanden, Analogien zu ihrem eigenen Tun bei Pythagoras und Kepler zu orten. Inso-
fern hatten sie – ebenso wie Ernst Mack – nichts mit den Unterstellungen zu tun,- die heute aus
postmoderner Ecke zuteil werden. Postmodern an Macks Arbeit ist, daß er – ebenso wie viele
Künstler der Moderne – von dem gesamten Material Gebrauch macht, das Vergangenheit und
Gegenwart bieten. Die altmeisterlichkeit sollte darüber nicht hinwegtäuschen!

von Uli Bohnen in „das atelier“
5/90